Webinar-Referent Urs Roemer im Gespräch zum Thema Großstrukturen und Automatisierung in der Luftfahrt

Kai Brune, Abteilungsleiter Qualitätssicherung und Cyber-Physische Systeme
© Fraunhofer IFAM
Rumpfschale in Montageanlage zur automatisierten Bearbeitung
Benetzungsprüfung einer CFK-Schäftung mit Fingerabdrücken.
© Fraunhofer IFAM
Benetzungsprüfung einer CFK-Schäftung mit Fingerabdrücken.

Am Mittwoch, 27. November 2019, fand im Rahmen der Reihe »Kleben – aber sicher!« das Webinar »Fertigungstechnik – von Mikroprozessen bis zu Großstrukturen« statt. Als Referenten konnte das Fraunhofer IFAM zwei erfahrene Forscher gewinnen: Die Gruppenleiterin Prozessanalyse und Mikrofertigung, Andrea Paul, sowie den Gruppenleiter Adaptive Applikationssysteme, der Abteilung »Automatisierung und Produktionstechnik« am Fraunhofer IFAM, Urs Roemer. Die spannende Konstellation aus zwei unterschiedlichen Personen, die aus verschiedenen Blickwinkeln auf Fertigungstechnik blickten und einen Bogen zwischen ihren Fachgebieten schlugen, sorgte für viele Teilnehmer und sorgte für rege Diskussionen. Wir konnten Urs Roemer im Nachhinein für einige vertiefende Fragen zu seinem Fachgebiet, Großstrukturen und Automatisierung in der Luftfahrt, interviewen.

Haben Sie das Webinar verpasst? Kein Problem – sehen Sie sich hier die Aufzeichnung an!

Herr Roemer, blicken wir kurz zurück auf das Webinar: Mikroprozesse und Großstrukturen – das sind zwei Extreme. Welche Schnittpunkte gibt es dennoch in Bezug auf die Fertigungstechnik?

Frau Paul und ich haben bei den Webinar-Vorbereitungen gemerkt, dass wir letztendlich in einem ähnlichem Toleranzband unterwegs sind und den gleichen Herausforderungen für Prozesse entgegenstehen: Sowohl Frau Paul und ihr Fachbereich Mikrofertigung, als auch wir mit unseren Großstrukturen sind abhängig von Umgebungseinflüssen, die den Klebprozess vollkommen durcheinanderbringen können. Wir bewegen uns aber auch was die Genauigkeit angeht auf ähnlichem Terrain. Denn die Ähnlichkeit zwischen Mikroprozessen, bei denen Klebstoff in Kleinst-Mengen verbraucht wird, und den sehr eng gesetzten Anforderungen in der Luftfahrt, in der wir uns zum Großteil bewegen, liegt darin, eine Genauigkeit in den Prozess zu bringen. Und diesen natürlich auch zu überwachen.

 

Nun spezieller zu Ihrem Tätigkeitsgebiet: Welchen Anforderungen an die Fertigungstechnik begegnen Sie in Ihrer täglichen Arbeit?

Wir sind mit der Luftfahrt in einem sehr speziellen Industriezweig unterwegs. Will man diese großen Bauteile fertigungstechnisch bearbeiten und auch Kleb- bzw. Abdichtprozesse vornehmen, dann muss man quasi erst einmal den Prozess zum richtigen Ort am Bauteil bekommen. Bei einem Flugzeugflügel von 30 Metern Länge gar nicht so einfach. Derzeit kommen Menschen mit Kletterhilfen an diese Stellen heran. Wir machen uns beispielsweise Gedanken darum, wie ein Robotersystem an diese Stellen kommt, ein solcher Prozess also automatisiert durchgeführt werden kann. Dabei sind wir nicht nur im Bereich Klebtechnik tätig, sondern im Hinblick auf die gesamte Prozesskette, die an einem solchem Bauteil stattfindet. Die spannende Frage ist: Wie bekomme ich manuelle Prozesse auf einen Roboter übersetzt, um ein Flugzeug herzustellen, das immer noch den Sicherheitsanforderungen entspricht und am Ende auch fliegen darf? Da befinden wir uns auf einem langen Weg mit vielen Herausforderungen.

 

Die Qualitätssicherung ist ein essenzieller Aspekt der klebtechnischen Fertigung. Wie lässt sich diese bei Großstrukturen auch im Zuge der Automatisierung sicherstellen?

Heute ist Qualitätssicherung im Luftfahrt-Bereich sehr stark erfahrungsgeprägt. Ich spreche hier vom gut ausgebildeten Mitarbeiter, der am Bauteil arbeitet, genauso wie vom Qualitätsprüfer, der im Vier-Augen-Prinzip das ganze Bauteil abnimmt. Wenn wir nun den Menschen an unzugänglichen Stellen durch einen Roboter ersetzen wollen, müssen wir uns vergegenwärtigen: Der Roboter hat erst einmal keine Augen. Es wäre nicht sinnvoll, wenn wir nach der beendeten Arbeit wieder eine Fachkraft hinschicken müssten, der sich das Ergebnis ansieht, und dafür wieder an die unzugängliche Stelle muss. Das Ziel ist deshalb, Qualitätssicherung in den Prozess zu integrieren. Denn wir können beim Kleben nicht ohne Qualitätssicherung sicher arbeiten. Diese ist ein zentraler Bestandteil, schon vom ersten Punkt an, an dem ich ans Kleben denke. Eigentlich sogar schon zuvor: Bevor ich überhaupt über die Verarbeitung des Klebstoffs nachdenke, muss ich zum Beispiel sicherstellen, dass meine Oberflächen sauber sind.

 

Wie weit sind Sie denn im Bereich der Luftfahrt bereits mit dem Einsatz von Robotik?

Wir sind in der Luftfahrtindustrie aktuell in einer richtigen Umbruch-Phase. Für den automatisierten Prozess einer Bearbeitung, bei der man mit Kleb- und Dichtstoffen arbeitet, gibt es die ersten Pilot-Anlagen. Die Automatisierung steckt hier aber wirklich noch absolut in den Kinderschuhen. Das kann man fast wie die ersten Roboter im Automobilbau in den 1970er sehen. Man ist jetzt dabei die Erfahrungen in Projekten zu sammeln und daraus Regeln für den Anwendungsfall abzuleiten. Man geht hier einen Doppel-Weg: Der Mensch schaut immer noch einmal über das Ergebnis, um sicherzugehen, ob das, was die Maschine bewertet, auch richtig ist. Sie können sich vorstellen, dass es ein sehr langwieriger Prozess ist, einem Roboter die Selbstverständlichkeit menschlicher Entscheidungen aus jahrelanger Erfahrung beizubringen. Dabei versuchen wir schon früh in der technologischen Entwicklung, Probleme aufzuzeigen und schon erste Lösungen zu entwickeln. Seien es Dosieranlagen, die Zugänglichkeit im Bauteil, die Kompaktheit des Systems oder auch die Sensorik: Wir feiern Erfolge, doch die Herausforderungen bleiben sehr komplex.

 

Unter welchen Bedingungen arbeiten Sie und welche Rolle nehmen Partner aus der Industrie ein?

Wir in der Außenstelle des Fraunhofer IFAM in Stade sind zum größten Teil den Anwendungen aus der Luftfahrt verschrieben. Im Unterschied zu den meisten Entwicklungslaboren können wir im Original-Maßstab arbeiten. Zu diesem Zweck verfügen wir über ein entsprechend großes Technikum und mit zugehörigen Anlagen. Zudem haben wir durch unsere Partner aus der Luftfahrt auch Bauteile, an denen wir arbeiten können. Wir können also wirklich das gesamte Produktions-Szenario abbilden. Darüber hinaus arbeiten wir in Projektverbünden mit mehreren Industriepartnern, unter anderem Endanwender und Lieferanten, an unseren Fragestellungen. Ziel ist es, ein prototypisches System hier bei uns aufzubauen, um nachweisen zu können, dass es prozessfähig ist. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnern, den Anwendern der Technologie, ist elementar, um die Kenntnisse über Digitalisierung auch auf den Bereich der Klebtechnik zu übertragen. Interessierte Industriebetriebe als mögliche Partner dürfen daher immer gerne an der Tür klopfen.

 

Kann man Ihr erworbenes Wissen zur Automatisierung in der Fertigungstechnik aus der Luftfahrt eines Tages auch in andere Branchen transferieren?

Ich denke schon. Wir sind dem gegenüber sehr offen, denn wenn man sich einmal ansieht, wie die Struktur eines Flugzeugs aussieht, merkt man, dass es Parallelen zu anderen Industrien gibt. Zunächst ist für uns natürlich erst einmal das interessant, was vergleichsweise groß ist. Da bewegen wir uns dann schnell in den Bereichen Nutzfahrzeuge, LKW, Busse – diese sind von ihrem Ausmaß und damit auch einiger Anforderungen der Luftfahrt schon sehr ähnlich. Natürlich fliegt man mit diesen Fahrzeugen nicht, aber von der Struktur her sind sie Flugzeugen schon sehr ähnlich. Gleiches gilt natürlich auch für den Schienenfahrzeugbau. Auch hier werden überall Prozesse durchgeführt – Kleben ist Stand heute in jeder Industrie weiter verbreitet als im Flugzeugbau.

Normung am Fraunhofer IFAM

Webinar-Reihe Kleben aber sicher