Benetzung im Klebprozess – welche Rolle spielt die Oberflächenspannung und was muss beachtet werden?

In den unterschiedlichsten Bereichen, wie etwa der Automobil- oder Luftfahrtbranche, werden Bauteile miteinander verklebt. Damit die Klebung standhält und langzeitstabile Sicherheit garantiert, muss gewährleistet werden, dass die zu verklebenden Oberflächen ausreichend benetzbar sind, der Klebstoff also die Oberfläche erreichen kann. Aber was ist bei der Benetzbarkeit zu beachten und welche Methoden zur Benetzbarkeitsprüfung gibt es? Christian Tornow vom Fraunhofer IFAM erklärt, wie wichtig Benetzbarkeit ist und wo sie ihre Anwendung findet.

Gerade in der Klebtechnik ist die gute Benetzbarkeit der zu verklebenden Oberflächen essentiell für ein gutes Klebergebnis. Nur wenn die zu verklebende Oberfläche die richtigen Voraussetzungen für Klebungen aufweist und keine Verschmutzungen wie Trennmittelreste, Öle, Fette oder Fingerabdrücke enthält, kann eine sichere, langzeitstabile Verklebung garantiert werden. Denn bei kontaminierten Oberflächen können Klebungen versagen oder Lackierungen vorzeitig abblättern. Die Folge sind Defekte wie Lackblasen oder nicht haftende Bedruckungen, was zum Beispiel bei Etiketten von Medikamenten gravierende Schäden nach sich ziehen kann. Auch Strukturen am Auto, die besonders bei Unfällen widerstandsfähig und stabil bleiben müssen, werden verklebt. Befinden sich hier noch Kontaminationen auf der Oberfläche, die unentdeckt bleiben und man klebt trotzdem, z.B. weil der Prozess automatisiert ist, kann es passieren, dass die Struktur nicht standhält. Bei einem Unfall kann das schwerwiegende Folgen haben.

 

Christian Tornow aus dem Bereich Adhäsions- und Grenzflächenforschung des Fraunhofer IFAM erklärt im Interview, was es bei Benetzung und Benetzungsprüfung zu beachten gibt.

 

Was sind die wichtigsten Punkte, die bei Benetzung beachtet werden müssen?

Die Möglichkeit der Benetzung eines Gegenstands hängt von zwei Faktoren ab: der Oberflächenspannung des zu verklebenden Festkörpers und der Oberflächenspannung der Kleb-Flüssigkeit. Die Oberflächenspannung des Festkörpers muss dabei immer größer sein als die der Flüssigkeit, sodass der (Flüssigkeits-)Tropfen auf dem Festkörper spreitet und eine optimale Benetzung stattfinden kann. Der Nachweis dieser Grundvoraussetzungen für die Klebung ist ein wichtiger Teil der Qualitätssicherung im Klebprozess.

Wie kann die Oberflächenspannung des Festkörpers erhöht werden, um eine gute Benetzung sicherzustellen?

Oftmals hilft schon die gründliche Reinigung des Bauteils: Trennmittel aus der Produktion, Tiefziehöle z.B. bei Blechen oder Handhabungsrückstände müssen entfernt werden. Bei komplizierteren Teilen, wie beispielsweise Kohlefaserverstärkte Kunststoffoberflächen muss man tiefer in die Trickkiste greifen. So kann zum Beispiel durch eine Plasmaaktivierung, bei der Sauerstoffgruppen in die Oberfläche eingebaut werden, die Oberflächenspannung des Festkörpers erhöht werden, wodurch der Festkörper besser benetzbar wird.

Kontaktwinkel Visual
© Fraunhofer IFAM
Kontaktwinkelmessung
Water Break
© Fraunhofer IFAM
Water-Break-Test
Benetzung AWT Visual
© Fraunhofer IFAM
Aerosol-Benetzungsprüfung

Welche Möglichkeiten der Benetzbarkeitsprüfung gibt es und wie geeignet sind diese?

  • Testtinten: Bei der Verwendung von Testtinten wird eine Flüssigkeit mit definierter Oberflächenspannung auf die zu verklebende Oberfläche gepinselt. Bildet sich ein stabiler Film? Dann ist die Oberflächenspannung des Festkörpers größer als die Testtinte und die Benetzbarkeit ist gut. Zieht sich die Flüssigkeit hingegen zu einem Tropfen zusammen, ist die Oberflächenspannung des Festkörpers kleiner als die der Flüssigkeit. Die Methode eignet sich als einfacher Schnelltest, die Beurteilung der Verteilung der Flüssigkeit ist jedoch wenig objektiv und kann stark variieren. Die Handhabung ist also leicht, die sichere Bestimmung der Benetzbarkeit relativ kompliziert.
  • Kontaktwinkelmessung: Um die Benetzung mittels Kontaktwinkelmessung zu bestimmen, wird eine Flüssigkeit auf einen Festkörper als Tropfen dosiert. Anhand eines Videobildes, kann der Winkel zwischen Tropfen und Festkörper ermittelt werden. Dieser Winkel zeigt die Benetzbarkeit der Oberfläche des Festkörpers an – umso kleiner der Winkel zwischen beiden Flächen, desto besser ist die Benetzbarkeit. Diese Methode eignet sich gut bei kleinen Flächen. Bei großen Flächen wird es sehr schwierig, da sich die Benetzbarkeit an verschiedenen Stellen des Bauteils unterscheiden kann.
  • Water-Break-Test: Diese Methode ist sozusagen das Gegenteil der Kontaktwinkelmessung. Das Bauteil wird zuerst in ein Wasserbad getaucht. Holt man es wieder heraus, sieht man, wo das Wasser zuerst aufreißt und wo es somit Unterschiede in der Benetzbarkeit gibt. Die Methode eignet sich für große Bauteile, wie z.B. Tragflächen von Flugzeugen. Schwierig ist jedoch auch hier die objektive Betrachtung, da man mit menschlichem Auge nicht überall gleichzeitig hinsehen kann. Mit kleinen Teilen, z.B. aus der Automobilindustrie, lässt sich der Test gut als Schnelltest durchführen.
  • Aerosol-Benetzungsprüfung: Diese vom Fraunhofer IFAM entwickelte Methode, ist eine Kombination aus dem Water-Break-Test und der Kontaktwinkelmessung. Automatisiert werden kleine Tropfen auf die Oberfläche gesprüht, ähnlich wie bei der Kontaktwinkelmessung, nur von oben. Mit einem Kamerasystem werden die Tropfen automatisch erfasst und schließlich anhand einer Bildbearbeitungssoftware am Bildschirm dargestellt. Anhand der Tropfengrößenverteilung kann nun die Benetzungsfähigkeit der Oberfläche bewertet werden. Diese Maßnahme ermöglicht die schnelle Durchführung auch auf großen Bauteilen, eine objektive und automatische Bewertung mithilfe der Software und eine rückstandsfreie Trocknung und somit schnelle Weiterverarbeitung des Bauteils. Unterschiedlichste Oberflächen wie Faserverbundwerkstoffe, Kunststoff und Metall können mit der Aerosol-Benetzungsprüfung gemessen werden.

Wann sollte ich eine Benetzungsprüfung durchführen?

Die Benetzungsprüfung sollte immer direkt vor dem eigentlichen Kleb-, Lackier- oder Beschichtungsprozess erfolgen, um sicherzustellen, dass die Oberfläche richtig vorbereitet ist und den Anforderungen entspricht. Insbesondere dann, wenn die Beschichtung oder Verklebung später sicherheitsrelevante Aufgaben übernehmen soll. Aber auch für die Serienproduktion kann die Benetzungsprüfung Erkenntnisse über Prozesssicherheit bzw. die Effektivität von Vorbehandlungen liefern. Darüber hinaus kann eine 100%-Kontrolle im Rahmen von Industrie 4.0 wichtige Prozessdaten liefern.

Am 25. September 2018 fand ein Webinar des Fraunhofer IFAM zu den Grundlagen und Prüfmöglichkeiten der Benetzung statt. Wer profitiert von Kenntnissen zur Benetzung?

Das Webinar nutzt jedem, der Verklebungen plant oder damit arbeitet bzw. sich mit dem Thema Kleben oder der Absicherung des Klebprozesses beschäftigt. Vor allem diejenigen, die mit sicherheitsrelevanten Klebungen in Berührung kommen, sollten sich in diesem Bereich weiterbilden. Denn im spätestens beim schlimmsten Schadensfall muss nachgewiesen werden, dass die Verklebung in Ordnung ist und nach der DIN durchgeführt wurde.

Vielen Dank für das Interview!

Webinar: Benetzung

Im Webinar erklärten Dr. Michael Noeske und Dipl.-Ing. Christian Tornow die Grundlagen der Benetzung und zeigten verschiedene Möglichkeiten für die prozessintegrierte und schnelle Prüfung der Benetzbarkeit von Bauteiloberflächen auf.

 

Dienstag, 25. September 2018
14:00 - 15:00 Uhr