Kleben von brandsicheren Verbundwerkstoffen – Webinar-Referenten im Gespräch

© Adobe Stock

Dr. Vinicius Carrillo Beber und Nick Wolter sind am Fraunhofer IFAM in der Abteilung Polymere Werkstoffe und Bauweisen tätig. Dort entwickeln sie u. a. Leichtbauwerkstoffe und Fertigungsverfahren, die die hohen Anforderungen des Schienenverkehrs hinsichtlich der Kosteneffizienz sowie des Brandschutzes erfüllen. Mithilfe der Expertise des gesamten Instituts in den Bereichen chemische Synthese, Polymerentwicklung, Fertigungsverfahren, Oberflächenvorbehandlung und Kleben können sie alle Schritte von der Idee bis zur sicheren Anwendung abdecken. Nachgelagerte und prozessintegrierte Qualitätssicherung und Prüfung mit Fachexperten inbegriffen. Im Webinar gaben die Experten eine kurze Einführung ins Kleben, Nieten und Hybridfügen von brandsicheren Faserverbundwerkstoffen und zeigten daraufhin Anwendungsbeispiele.

© Adobe Stock
Das Konzept der Feuerwehr, Feuer mit Sauerstoff-, Wärme- und Brennstoffentzug einzudämmen, haben wir auf unsere Bedürfnisse übertragen.
© Wolter et al. Comp Struct, 236 (2020)
Sowohl das Kleben von CFK (links), als auch das Kleben und Nieten (rechts) sind geeignete Verbindungstechnologien.
© Fraunhofer IFAM
EU-Projekt Mat4Rail

Herr Dr. Beber und Herr Wolter, Ihr Webinar-Thema ist das Kleben von brandsicheren Verbundwerkstoffen. Was verbindet das Kleben und den Brandschutz?

Das Kleben als zukunftsweisendes Fügeverfahren des 21. Jahrhunderts ermöglicht die zuverlässige Verbindung von gleichen sowie unterschiedlichen Materialien im Multimaterial-Leichtbau. Dies kommt bereits in vielen verschiedenen Branchen wie Schienenfahrzeugbau, Luftfahrt oder maritimer Industrie zum Einsatz. In diesem Bereich hat die Sicherheit der Fahrgäste und Transportgüter die höchste Priorität. Um dies zu gewährleisten, gibt es umfangreiche Brandschutz-Auflagen, dabei müssen sowohl die Materialien als auch die Fügeverfahren brandsicher gestaltet werden.

Ein Großteil der derzeit kommerziell verfügbaren polymeren Verbundwerkstoffe für Strukturanwendungen im Schienenfahrzeugbau erfüllt die hohen Anforderungen bezüglich des Brandverhaltens und der Rauchgasdichte sowie -toxizität jedoch nicht oder nur bedingt. Daher haben wir am Fraunhofer IFAM Leichtbauwerkstoffe entwickelt, die diese Anforderungen erfüllen. Dabei haben wir uns an den Konzepten zur Brandbekämpfung der Feuerwehr orientiert, da das Feuer dort durch den Entzug von Sauerstoff, Wärme, oder Brennstoff gelöscht wird. Diese reaktiven Maßnahmen haben wir uns bei der Entwicklung der Verbundwerkstoffe zunutze gemacht. Unsere Verbundwerkstoffe bilden bei der Verbrennung thermisch-stabile Schichten, die sowohl als Barriere für Wärme, als auch für brennbare Zersetzungsprodukte dienen. Somit erzielen diese passiven Maßnahmen eine ähnliche Wirkung wie die Maßnahmen der Feuerwehr, also den Brennstoff- und Wärmeentzug bei der Verbrennung.

 

Was werden die Teilnehmenden im Webinar und der Aufzeichnung des Webinars »Kleben von brandsicheren Verbundwerkstoffen« erfahren?

In unseren Forschungen stellte sich heraus, dass polymere Leichtbauwerkstoffe den höchsten Anforderungen des Schienenfahrzeugbaus an den präventiven Brandschutz gerecht werden können, sogar in Abwesenheit von Flammschutzmitteln. Hier erklären wir, wie sich die Einzelkomponenten der Verbundwerkstoffe auf die thermische Stabilität auswirken können. So dient beispielsweise die Zugabe der Verstärkungsfaser nicht nur der Verbesserung der mechanischen Eigenschaften, sondern zeitgleich der Verbesserung der thermischen Stabilität. Dies ist vielen Anwendern bisher nicht bewusst. Auch die Verwendung von neuartigen Matrix-Systemen wie beispielsweise die Polybenzoxazine werden wir erläutern. Diese sind im Gegensatz zu Epoxiden und Phenol deutlich weniger verbreitet.

Ein Zugang zur technischen Anwendung kann ausschließlich mit geeigneten Verfahren zur werkstoffgerechten Anbindung der Verbundwerkstoffe realisiert werden, daher stellen wir sowohl Kleb- als auch Hybridklebverbindungen für diese Werkstoffe vor. Im Webinar werden wir deshalb kurz auf die Grundlagen des Klebens, Nietens und Hybridfügens eingehen, um dann konkrete Anwendungsbeispiele aufzuzeigen.

 

In welchem Bereich kommen Ihre brandsicheren Verbundwerkstoffe zum Einsatz?

Diese Materialien resultieren aus der aktuellen Forschung des Fraunhofer IFAM und sind daher noch nicht aktiv im Einsatz. Jedoch sind diese Werkstoffe überall im Personentransport notwendig. Dort können die unterschiedlichen Anforderungen an das Brandverhalten mithilfe der jeweils notwendigen Evakuierungsdauer hergeleitet werden. Eine Evakuierung aus PKW oder Bus im Brandfall kann relativ schnell durchgeführt werden. Der gleiche Vorgang dauert jedoch im Zug, Schiff oder Flugzeug bedeutend länger. Eine Möglichkeit wäre es, nur Stahl zu verwenden, um die Brandsicherheit zu gewährleisten. Daraus würden aber andere Einschränkungen hinsichtlich des Gewichts, der Effizienz und der Ästhetik resultieren. Deshalb vereinen unsere Verbundwerkstoffe den Brandschutz mit dem Leichtbau.

 

Für welche Zielgruppe ist das Webinar und die Aufzeichnung relevant?

Wir besprechen alle Schritte von der Entwicklung bis zur Anwendung. Daher richtet sich unser Webinar an Ingenieure und Materialwissenschaftler, aber auch an Chemiker oder Anwender, die an brandsicheren Leichtbauwerkstoffen mit entsprechenden Verbindungstechnologien interessiert sind. Anforderungen an Leichtbau und Brandschutz gibt es besonders im Schienenfahrzeugbau, der Automobilbranche, der Luftfahrt und im Schiffbau – je länger die Evakuierungsdauer im jeweiligen Bereich ist, desto interessanter werden unsere Lösungsansätze für diese Branche.

 

Das Thema brandsichere Verbundwerkstoffe wird aktuell auch in einem EU-Projekt behandelt. Worum geht es dabei?

Gemeinsam mit 16 Partnern aus sieben europäischen Ländern arbeiten wir seit 2017 im Forschungsprojekt »Mat4Rail« an neuen Entwicklungen für die Bahntechnologie wie beispielsweise schwer entflammbaren Leichtbauwerkstoffen. Ziel ist es, unseren Beitrag zu den EU-Bestrebungen zu leisten, die Treibhausgasemission bis 2030 um 40% im Vergleich zu 1990 zu reduzieren und die Energieeffizienz um 32,5% zu steigern. Und das alles ohne die Sicherheit außer Acht zu lassen.

 

Vielen Dank für das Interview!

Webinar-Aufzeichnungen 2020: Webinar am 7. Oktober 2020

Weitere Webinare aus der Reihe »Kleben aber sicher«